Österreicher in der britischen Armee
Großbritannien wurde nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 zu einer primären Fluchtdestination für vor dem NS-Regime Geflüchtete, deren Gesamtzahl allein bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs wohl bis zu 150.000 Personen betrug. Insgesamt kamen, trotz rigider britischer Einreisebestimmungen, bis September 1939 rund 30.000 Österreicherinnen und Österreicher – genaue Zahlen liegen nicht vor – auf die britischen Inseln, die meisten von ihnen jüdischer Herkunft. Mit der britischen Kriegserklärung an Deutschland wurden sie – wie auch die deutschen Flüchtlinge – als sogenannten „Enemy Aliens“ eingestuft, da sie offiziell Angehörige des Deutschen Reichs waren, auch wenn sie von diesem aus ihrer Heimat vertrieben worden waren – Österreich als eigenständiger Staat existierte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.
Zunächst hatte der Umstand, dass sich Großbritannien und NS-Deutschland im Krieg befand, für die meisten Geflüchteten wenig bis keine Auswirkungen. Zwar mussten sie sich, sofern sie älter als 16 Jahre waren, bereits ab September 1939 einer Untersuchung durch sogenannte Tribunale unterziehen, die ihre Loyalität gegenüber ihrem Gastland prüften und potenzielle Gefährder herausfiltern sollten. Doch der Großteil der Flüchtlinge aus dem Reichsgebiet wurde in Kategorie C und damit als zuverlässig eingestuft, was bedeutete, dass für diese Personen nur solche Beschränkungen galten, wie sie für Ausländer auch schon in Friedenszeiten bestanden hatten. Von allen rund 73.000 untersuchten Enemy Aliens wurde nur weniger als ein Prozent als Kategorie A und damit als Sicherheitsrisiko erachtet und sofort interniert. Kategorie B, rund zehn Prozent der Fälle, bildete eine Zwischenstufe, die zwar keine Internierung mit sich brachte, jedoch mehr Einschränkungen – so mussten etwa Reisen über fünf Meilen von der Polizei genehmigt werden, der Besitz von Gegenständen von militärischem oder nachrichtendienstlichem Wert wie Waffen und Landkarten, aber auch Feldstecher und Fotoapparate sowie Autos war verboten.
Die Erfolge der deutschen Wehrmacht in Westeuropa im Frühjahr 1940, die auch einen Angriff auf die britischen Inseln immer wahrscheinlicher machten, veränderte jedoch die Lage für die Flüchtlinge dramatisch. Aus Angst vor einer deutschen Invasion erklärte die britische Regierung im Mai 1940 den südlichen und östlichen Teil des Landes zu geschützten Gebieten. Infolgedessen wurden alle dort ansässigen männlichen Enemy Aliens zwischen 16 und 60 Jahren, rund 8000 Personen, unabhängig von der ihnen zugewiesenen Kategorie interniert, die weiblichen Enemy Aliens aus den betreffenden Gegenden ausgewiesen. Nach der Niederlage Belgiens und vor allem der französischen Kapitulation kam es zu weiteren Internierungswellen, auf deren Höhepunkt Anfang Juli 1940 sich insgesamt 27.000 deutsche und österreichische Enemy Aliens in britischen Lagern wiederfanden, etwa in Huyton bei Liverpool oder vor allem wie bereits im Ersten Weltkrieg auf der Isle of Man in der Irischen See und somit weit weg von den im Falle einer deutschen Invasion besonders bedrohten Gebieten an der englischen Süd- und Ostküste. Mehr als 7500 Personen wurden zwischen 24. Juni und 10. Juli 1940 überhaupt nach Übersee geschickt, nach Kanada und Australien. Diese Transporte sollten schließlich für einen öffentlichen Aufschrei in Großbritannien sorgen – im Fall der Fahrt der Dunera nach Australien aufgrund der schrecklichen sanitären Zustände an Bord und der bösartigen Behandlung der Passagiere durch die Besatzung sowie im Fall der Arandora Star nach Kanada, weil diese am 2. Juli 1940 von einem deutschen U-Boot versenkt wurde, was den Tod von 714 Menschen nach sich zog, von denen die meisten internierte Flüchtlinge waren. Als Reaktion der Regierung darauf wurden bereits im August 1940 die ersten internierten Enemy Aliens der Kategorien B und C aus den Lagern entlassen, bis zum darauffolgenden Dezember befanden sich 8000 Personen wieder auf freiem Fuß. Bis 1942 war die Zahl der Internierten schließlich auf 5000 gesunken.
Das Warten auf willkürliche Entlassung durch die Behörden war nicht der einzige Weg aus den Camps. Ab September 1940 wurde internierten Enemy Aliens die Möglichkeit geboten, in das Auxiliary Military Pioneer Corps einzutreten, einer im Oktober 1939 gegründeten unbewaffneten Arbeitseinheit der Armee – (fast) alle anderen Einheiten sollte ihnen erst ab April 1943 offenstehen. Premierminister Churchill wollte die vorhandenen menschlichen Ressourcen nicht ungenutzt lassen und sah eine Überwachung potenzieller Gefährder bei den Pionieren ebenso gegeben wie in den Lagern selbst. Ohnehin herrschte im Pioneer Corps personeller Bedarf, da sich aufgrund des geringen Ansehens der Einheit nur wenige Briten freiwillig dafür meldeten. Aus diesem Grund hatte die Regierung schon vor den Internierungen beschlossen, Enemy Aliens aufzunehmen, und sogar eigene Ausländerkompanien aufgestellt. Ausgehend vom Kitchener Camp in der Ortschaft Richborough in der Grafschaft Kent waren vier dieser fünf ersten Alien Companies zum britischen Expeditionskorps nach Frankreich geschickt worden, wo zwei davon aufgrund der militärischen Entwicklung schließlich bewaffnet und zu Verteidigungszwecken herangezogen worden waren. Ihr Einsatz hatte sich also als wertvoll erwiesen, dennoch wurde die Rekrutierung von Enemy Aliens für das Pioneer Corps auf dem Höhenpunkt der Internierungswelle im Sommer 1940 vorübergehend ausgesetzt und erst durch Churchills Initiative im folgenden Herbst wieder aufgenommen. Schätzungen zufolge dienten bis Kriegsende insgesamt rund 1400 Österreicher im Pioneer Corps. Aus ihnen rekrutierte sich auch der Großteil der österreichischen Angehörigen jener Einheit, deren wahre Identität selbst in Armeekreisen lange Zeit verschleiert wurde: No. 3 Troop, No. 10 (Inter-Allied) Commando.