Britische Kommandos im Zweiten Weltkrieg
Terror auf dem europäischen Festland – um dieser Anweisung Churchills nachzukommen, griff Generalstabschef John Dill einen Vorschlag seines Military Assistant Dudley Clarke auf. Dem in Südafrika geborenen Offizier schwebte eine neue Einheit vor, die die Taktik der Buren aus deren zweiten Krieg gegen das britische Weltreich von 1899 bis 1902 kopieren sollte. Diese hatten sich im Konflikt mit dem übermächtigen Feind, nachdem die konventionelle Kriegsführung gescheitert war, auf den Guerillakampf verlegt: Gemäß der Maxime „hit sharp and quick – then run to fight another day” hatten kleine, „Kommandos“ genannte Trupps – so fand der Begriff „Commando“ auch Eingang in die englische Sprache – gezielte Schläge gegen die militärische Infrastruktur des Gegners wie Nachschubdepots oder Verkehrswege verübt. Ein derartiges Vorgehen deckte sich mit Churchills Vorstellungen und mit der Vorgabe, für diese Art von Einsätzen keine für die Verteidigung der britischen Inseln bestimmten Truppen abzuziehen und sie nur mit geringsten Ressourcenaufwand durchzuführen, stimmte er Clarkes Vorschlag. Bereits Ende Juni 1940 wurde eine erste Aktion nach Vorbild der Buren-Kommandos an vier Stränden im nordfranzösischen Department Pas-de-Calais durchgeführt, um nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu gewinnen und Kriegsgefangene zu machen.
Operation Collar war nur mäßiger Erfolg beschieden, unter anderem weil es den teilnehmenden Soldaten aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit an der entsprechenden Ausbildung und natürlich an Erfahrung gemangelt hatte. Dennoch war sie nur der Auftakt zu einer Vielzahl ähnlicher überfallsartiger Angriffe, sogenannter Raids, auf den Atlantikwall, durchgeführt von einer Reihe von neu aufgestellten und in erster Linie im schottischen Achnacarry trainierten Commandos, die zunächst unter der im November 1940 ins Leben gerufenen Special Service Brigade zusammengefasst wurden.
Die Einsätze unterschieden sich dabei teilweise stark in ihrer Ausprägung. Während bei Operation Jubilee als größte Kommandoaktion am 19. August 1942 über 7000 Soldaten – was allerdings eine Ausnahme darstellte – zum Einsatz kamen, darunter auch Kontingente aus Kanada und den Vereinigten Staaten, wurden mehrere Missionen unter dem Namen Tarbrush im Mai 1944 teilweise von nur jeweils zwei Männern durchgeführt. Der Erfolg der an die 60 Missionen und Raids, die von 1940 bis 1944 auf den Atlantikwall stattfanden, variierte ebenfalls. Während bei manchen das vorgegebene Ziel unter keinen oder nur minimalen Verlusten erreicht werden konnte, forderten andere wie Jubilee einen hohen Blutzoll – die Wirkung auf den deutschen Gegner ist insgesamt jedoch nicht von der Hand zu weisen, wie nicht zuletzt der von Adolf Hitler erlassene „Kommandobefehl“ vom 18. Oktober 1942 zeigt, alle gefangengenommenen alliierten Kommandosoldaten unverzüglich zu töten oder dem Sicherheitsdienst des Reichsführers SS zu übergeben.
Die Natur der Einsätze änderte sich jedoch im Lauf der Zeit. Es gab zwar weiterhin kleine Trupps, die hinter den feindlichen Linien spezielle Missionen durchführten. Im Zuge einer Reorganisation 1943 wurde den Commandos, die sich nicht mehr nur aus Armeeregimentern, sondern seit dem Vorjahr auch aus Royal Marines und Angehörigen von Navy und Air Force rekrutierten, jedoch mehr und mehr die Rolle als Speerspitze für die für die Zukunft geplanten alliierten amphibischen Landeoperationen in Westeuropa zur Eröffnung einer zweiten Front gegen Hitler-Deutschland zugedacht. Nun gegliedert in insgesamt vier Special Service Brigades, die später aufgrund der, wie Peter Masters alias Peter Arany schreibt, offenkundig widerwärtigen Abkürzung „SS Brigades“ in Commando Brigades umbenannt wurden, würden sie in weiterer Folge auch an konventionellen Kampfhandlungen von der Landung in der Normandie im Juni 1944 bis zur Kapitulation NS-Deutschlands im Mai 1945 teilnehmen. Unter ihnen befand sich auch das sogenannten No. 10 (Inter-Allied) Commando. Ihm kam insofern eine besondere Rolle zu, als dass es nicht nur die zahlenmäßig größte Kommandoeinheit war, sondern sich seine Mitglieder nicht aus Angehörigen der britischen Streitkräfte rekrutierte, sondern aus – wie der Name vermuten lässt – Soldaten verbündeter Nationen.
Das No. 10 (Inter-Allied) Commando wurde offiziell im Juni 1942, also rund zwei Jahre nach Beginn des Kommandoexperiments, und angeblich auf Anregung von Lord Louis Mountbatten als Leiter des für Spezialeinsätze zuständigen Combined Operations Headquarters ins Leben gerufen. Mountbatten wiederum soll die Idee von einem linksgerichteten Berater als Anlehnung an die Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg übernommen haben. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass sich die Briten, anders als die Franzosen, niemals zur Gründung einer Art „Fremdenlegion“ entschließen konnten, in der man das verfügbare nicht-britische Personal sozusagen in einer Einheit bündelte. Vielmehr stand durch eine entsprechende gesetzliche Grundlage vom 28. September 1939 Ausländern prinzipiell die unbegrenzte Aufnahme in die britische Armee und sogar der Aufstieg in den Offiziersrang offen. Mit dem No. 10 (Inter-Allied) Commando wurde den Angehörigen anderer Nationen, die vor den deutschen Truppen nach Großbritannien geflohen waren, jedoch zumindest die Chance gegeben, mit Landsleuten in einer eigenen Kommandoeinheit zu dienen und mit ihr gegen Hitler-Deutschland zu kämpfen. Die Meldung erfolgte, wie für die anderen Commandos, freiwillig. Es bestand aus mehreren „Troops“ genannten Untereinheiten, die sich nach Nationalitäten gliederten: Franzosen, Belgier, Niederländer, Norweger, Polen, Jugoslawen und „Briten“. Bei Letzteren handelte es sich in Wahrheit vor allem um Deutsche und Österreicher – also Angehöriger von Feindnationen, die aus Gründen der persönlichen Sicherheit und des Überraschungseffekts willen unter einer neuen Identität dienen mussten. Lediglich das den einzelnen Troops übergeordnete und im walisischen Harlech stationierte Hauptquartier bestand aus britischem Personal, zunächst unter der Führung des erfahrenen Kommandosoldaten Dudley Lister.
Dieses „example in a warring world of real international goodwill and fellowship“, wie der walisische Offizier Bryan Hilton-Jones – erst Kommandant des „britischen“ No. 3 Troop und später der gesamten Einheit – nach dem Krieg schreiben sollte, brachte jedoch auch seine Probleme und Herausforderungen mit sich. Das Hauptquartier hatte aufgrund von Sprachbarrieren und unterschiedlichen länderspezifischer Strukturen und Traditionen mitunter seine liebe Not, alle administrativen und operativen Angelegenheiten unter einen Hut zu bringen. Auch aus diesem Grund trat das No. 10 (Inter-Allied) Commando im Gegensatz zu seinen britischen Counterparts so gut wie niemals als geschlossene Formation auf. Vielmehr agierten die einzelnen Troops, die auch an unterschiedlichen Orten stationiert waren, relativ selbstständig oder wurden an andere Commandos sozusagen als Verstärkung ausgeliehen. Das gilt vor allem für den No. 3 Troop, dessen Angehörige als Spezialisten galten und bald zu nachrichtendienstlichen Experten hinsichtlich der Wehrmacht wurden – auch deshalb sollte ihre wahre Identität verschleiert und vor den Deutschen unter allen Umständen verborgen werden. Dabei begann ihre militärische Laufbahn meist gänzlich unspektakulär – mit Spitzhacke, Axt oder Spaten.