Exil & Armee: ein transatlantischer Vergleich
Die Flucht- und Kriegsbiografien von Österreichern in den britischen und US-Streitkräften ähneln sich naturgemäß, dennoch gibt es auch Unterschiede. Der vielleicht wichtigste war der Umstand, dass die Briten ihre Enemy Aliens anders als die Amerikaner nicht einbürgerten, bevor sie sie in den Kampf schickten. Bereits 1940 waren allen Einbürgerungsverfahren für die Dauer des Krieges eingestellt worden. Die Namensänderung, die nicht nur die Kommandosoldaten, sondern ab 1943 auch der Großteil der anderen deutschen und österreichischen Soldaten in den britischen Streitkräften, durchführten, hatte somit keine rechtliche Dimension; sie war kein Ausdruck der neuen Identität im neuen Heimatland, sondern eine reine Sicherheitsmaßnahme, um sie bei Gefangenname vor der Exekution zu bewahren – wobei die nach Übersee geschickten Österreicher und Deutschen eine Art Revers zu unterschreiben hatten, dass sie sich der Risiken für sich und ihrer Familien bewusst waren. Auch die Mitglieder des No. 3 Troop erhielten erst ab 1946 und nach nachdrücklicher Fürsprache ihrer direkten Vorgesetzten im No. 10 (Inter-Allied) Commando und im Combined Operations Headquarters mit Hinweis auf die waghalsige Nature ihres Einsatzes für das Vereinigte Königreich die britische Staatsbürgerschaft.
Was die Parallelen und Unterschiede im Detail angeht, eignen sich vor allem zwei Personengruppen in der US-Armee für einen Vergleich: die Soldaten österreichischer Herkunft in der 10th Mountain Division, der einzige alpine Großverband der Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg, sowie jene Exilösterreicher, die ab 1942 im Military Intelligence Training Center (MITC) in den Bergen Marylands unter anderem zu Kriegsgefangenbefragern ausgebildet wurden. In Bezug auf die 10th Mountain Division sticht natürlich der Aspekt des Gebirgskampfes ins Auge. Aus Österreich geflüchtete Skifahrer und Alpinisten hatten einen wesentlichen Anteil daran, die in diesem Feld unerfahrene US-Armee dahingehend kriegstauglich zu machen. Dies war bei den Briten nicht anders. Der bergaffine Hilton-Jones mit seiner Vorliebe für Ausdauermärsche in den bergigen Regionen von Wales fand wohl in vielen seiner Schützlinge, die ebenfalls Erfahrung als Bergsteiger oder Wintersportler hatten, Gleichgesinnte, und nicht zufällig wurden im Sommer 1944 wie erwähnt österreichstämmige Skilehrer als Verstärkung für den Trupp in Erwägung gezogen. Doch schon zuvor, im Winter 1941/42, waren 50 Angehörige des Pioneer Corps nach freiwilliger Meldung, darunter der Wiener Skischulbetreiber Ralph George Anderson (Rudolf Adler), unter der Bezeichnung „Austrian instructors“ als Trainer für zwei schottische Regimenter herangezogen worden, die nach dem Vorbild der französischen Chasseurs Alpins und der italienischen Alpini als Gebirgstruppen eingesetzt werden sollten. Organisiert worden war dieses Training von einem ebenfalls aus Österreich stammenden Sergeant Pick – tatsächlich wurde eine Reihe von Österreichern mit diesem Namen nach dem Krieg eingebürgert –, der vor seiner Emigration Ausbilder im österreichischen Bundesheer gewesen sein und die Winterausrüstung von dessen Gebirgseinheiten entworfen haben soll. Der Großteil der Ausbilder war danach zum Pioneer Corps zurückgekehrt, einige von ihnen sollen jedoch im Mountain Warfare Training Center der Middle Eastern Forces im Libanon untergekommen sein.
Die 10th Mountain Division bietet sich jedoch noch aus einem anderen Grund als interessanter Vergleich zum No. 3 Troop an. Die Gruppe der in ihr dienenden Österreicher, die auch tatsächlich in einen Kampfeinsatz gingen, ist mit rund 40 Soldaten zwar doppelt so groß wie im No. 3 Troop mit 22 Personen, aber dennoch in einer ähnlichen Größenordnung. Und auch hier zeigt sich: Der Blutzoll der Alpinkrieger fiel wie bei den Commandos im Vergleich zu anderen Einheiten deutlich höher aus, geschuldet dem Einsatz an vorderster Front als athletische Speerspitze der alliierten Versuche, den deutschen Sperrriegel in Italien aufzubrechen.
Anders verhielt es sich mit den Kriegsgefangenenbefragern aus dem MITC. Deren Casualties waren gering, führten sie ihre Verhöre in der Regel mit ausreichendem Sicherheitsabstand zu den feindlichen Linien durch und nahmen bis auf wenige Ausnahmen an keinen Kampfhandlungen teil. Denn der militärische Nachrichtendienst der US-Armee hatte wenig Interesse daran, seine Spezialisten für den deutschen Gegner, in deren Ausbildung er viel Zeit und Aufwand investiert hatte, leichtsinnig zu verlieren. Die Ausbildung war, was das Wissen über die feindliche Armee anbelangte, der des No. 3 Troop durchaus ähnlich, allerdings dauerte der allgemeine Basiskurs am MITC nur sechs Wochen, was dem Umstand geschuldet war, dass dieser von Mitte 1942 bis Kriegsende von rund 12.000 Soldaten absolviert wurde. Und auch, wenn Fächer wie Nahkampf auf dem Stundenplan standen, lag der Fokus ganz klar auf weniger martialischen Inhalten – nicht zuletzt wurden die MITC-Absolventen vor allem zu Beginn für ihr unsoldatisches Verhalten kritisiert. Insofern erscheint es als durchaus zutreffend, den No. 3 Troop in Bezug auf die sowohl physisch als auch intellektuell fordernde Ausbildung in gewisser Weise als Mischung von 10th Mountain Division und den Verhörspezialisten aus dem MITC zu sehen. Die angehende, aber am Beginn des Zweiten Weltkriegs mehr als noch „grüne“ Intelligence-Supermacht USA profitierte jedenfalls vom Knowhow des britischen (Lehr-)Meister, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass die US-Armee vor dem Aufbau des MITC eine „Fact-Finding-Mission“ nach England sandte und das Kommando-Trainingszentrum im schottischen Achnacarry auch von US-Rangern genutzt wurde.
Abschließend soll – und auch dies wieder mit Blick auf die Situation in den Vereinigten Staaten –in wenigen Worten die allgemeine Nachkriegsgeschichte der Angehörigen des No. 3 Troop zur Sprache kommen. Dank GI Bill – einem Bundesgesetz, das Veteranen ein Hochschulstudium ermöglichte – und formativer Fluchterfahrung, die geradezu als Katalysator für ihre wirtschaftliche und soziale Integration wirkte, gelang vielen Absolventen des MITC eindrucksvolle Karrieren in Privatwirtschaft, Diplomatie oder Wissenschaft. Die Zahl der „Remigrants“, also der Personen, die sich nach Kriegsende wieder in der alten Heimat ansiedelten, war wie bei den Alpinkriegern der 10th Mountain Division verschwindend gering. Auch dies gilt ebenfalls für die Angehörigen des No. 3 Toop des No. 10 (Inter-Allied) Commando, die sich wie ihre amerikanischen Kollegen aus dem MITC höchstens für die Jagd nach Kriegsverbrechern oder für die Dauer der Kriegsverbrecherprozesse noch einige Zeit in Deutschland oder Österreich aufhielten. Die überwiegende Mehrheit ließ sich in Großbritannien nieder und viele kletterten nach ihrer anfänglichen, oft mit Internierung einhergehender Stigmatisierung als Enemy Aliens die soziale Leiter nach oben. Stellvertretend soll an dieser Stelle erneut Geoff Broadman erwähnt werden, der es als Beamter der Forest of Dean Grammar School in Lydbrook in der Grafschaft Gloucestershire angeblich zu so hoher Beliebtheit brachte, dass sein Begräbnis 1997 eines der größten in der Gegend gewesen sein soll. Andere wiederum zog es weiter, in Staaten des Commonwealth wie Australien oder Neuseeland oder überhaupt in die Vereinigte Staaten. Nach Österreich hingegen kehrte bis auf Richard Tennant niemand zurück, der jedoch auch in London wohnhaft blieb, während er in Klagenfurt einen Antiquitätenhandel sowie einen Golfklub betrieb.
Erst Jahrzehnte später – wenn überhaupt – sprachen sie über ihre Erlebnisse als Mitglieder einer der geheimsten und spektakulärsten Einheit der britischen Armee – und brachten dabei zum Ausdruck, was die Aufnahme in den No. 3 Troop für sie bedeutet hatte. Für die meisten war der Schritt vom Pioneer Corps zu den Commandos ein Akt der Selbstermächtigung gewesen, wenn auch ein skurriler: Denn eben erst hatte man ihnen vor lauter Angst vor einer fünften Kolonne nicht viel mehr als gerade einmal einen Spaten anvertraut, und von einem Tag zum nächsten waren sie zu Spezialisten für Sprengstoff und Nahkampf ausgebildet worden. Dieses Gefühl der Selbstermächtigung teilten sie übrigens mit den aus Österreich vor dem NS-Regime Geflüchteten jenseits des Atlantiks, die dort den Weg in die Streitkräfte ihres neuen Heimatlandes fanden. Wie die Verhörspezialisten aus dem MITC und die Gebirgskrieger der 10th Mountain Division sind die Soldaten des No. 3 Troop, No. 10 (Inter-Allied) Commando ein beeindruckendes und erinnernswertes Beispiel von Courage und zeigen, welche Handlungsmacht selbst mittellose Geflüchtete besitzen, wenn staatliche Akteure dafür den Rahmen schaffen.