Spezialkräfte: Fakt & Fiktion

Kommandooperationen neigen dazu, unsere Fantasie (zumindest die in westlichen Gesellschaften) zu beflügeln. Ähnlich wie Nachrichtendienste, mit denen sie eng verwoben sind, dienen die Einsätze von militärischen Spezialeinheiten wie den US-amerikanischen Navy Seals oder dem britischen Special Air Service seit Jahrzehnten als beliebtes Sujet nicht nur für die Filmindustrie, sondern gerade auch für die Computerspielbranche. Während klassische Kriegsfilme und -spiele in den Hintergrund geraten sind, erfreuen sich Plots, die Spezialeinsätze zum Inhalt haben, nach wie vor ungebrochen großer Beliebtheit. Dies zeigen Filmklassiker und Blockbuster wie Die Wildgänse kommen, Inglourious Basterds oder unlängst The Ministry of Ungentlemanly Warfare. Auf viele Menschen übt es offensichtlich eine Faszination aus, wenn eine kleine Einheit auf sich allein gestellt in feindlichem Territorium gegen einen oft übermächtigen Feind agiert, und das oft auch noch unter Zeitdruck – die perfekten Zutaten für Hollywood und Co. Zudem haftet den Mitgliedern von Spezialeinheiten in der Regel nicht nur etwas Elitäres und Verwegenes an, sondern oftmals auch etwas Rebellisches und sogar Verrücktes. Es sind also im Gegensatz zu „normalen“ Schlachten und dem regulären Soldatenalltag, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, „besondere“ und „einzigartige“ Geschichten, die es wert sind, erzählt zu werden – und zweifellos oftmals mythisch überhöht werden.

Kommandoeinsätze – beschränkt auf ein räumlich begrenztes Gebiet und über eine relativ kurze Zeitspanne durchgeführt von einem kleinen Trupp, um mit verdeckten und unkonventionellen Kampfmethoden bei relativ geringen Ressourcenaufwand überproportional große strategische und politischen Wirkung zu entfalten – sind allerdings kein Phänomen der Neuzeit. Sie lassen sich bereits in Antike und Mittelalter feststellen. Als prominentestes, wenn auch vermutlich fiktives Beispiel lässt sich wohl das trojanische Pferd nennen, mit dessen Hilfe es einer verwegenen Schar griechischer Krieger gelang, das über zehn Jahre lang vergeblich belagerte Troja endlich zu erobern. Auch die – wenn auch nur vorübergehende und sehr fatal endende – Befreiung von Balduin II., König des Kreuzfahrerstaats Jerusalem, aus der Hand eines türkischen Emirs durch eine Truppe loyaler armenischer Untertanen im Jahr 1123 lässt sich als Kommandooperation einordnen. Als Gründungsvater moderner Spezialkommandos lässt sich wohl der britische Offizier Robert Rogers ausmachen, der sich mit der nach ihm benannten Einheit im French and Indian War, dem nordamerikanischen Teilkonflikt des Siebenjährigen Krieges Mitte des 18. Jahrhunderts, auf irreguläre Kriegsführung gegen den französischen Feind spezialisierte. Dass Roger’s Rangers etwas Besonderes innerhalb der britischen Armee waren, zeigte sich schon allein an ihrem Erscheinungsbild: Im Gegensatz zu den regulären, in starrer Schlachtordnung kämpfenden Einheiten mit ihren roten Röcken trugen sie grüne, an den Kriegsschauplatz angepasste Uniformen, die für den Kampf in den dichtbewaldeten Regionen des nordamerikanischen Nordostens weitaus besser geeignet waren.

Trotz Rogers Erfolgen – die US-Spezialeinheiten der Army Ranger und der Green Berets sehen ihre Wurzeln in seiner Einheit – blieben Kommandoeinsätze dennoch für die nächsten fast 200 Jahre eine militärische Randerscheinung, was sich nicht zuletzt in der dazu vorhandenen Literatur widerspiegelt. Erst im Zweiten Weltkrieg sollten sie ihre volle Wirkung entfalten, und dies durchaus für alle Kriegsparteien. Auf deutscher Seite zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang in erster Linie Otto Skorzeny, der sich beginnend mit der von Adolf Hitler beauftragten Befreiung des zuvor abgesetzten und auf dem Gran Sasso d‘Italia in den Abruzzen inhaftierten italienischen Diktators Benito Mussolini im September 1943 – Unternehmen Eiche – seinen Mythos als „gefährlichster Mann Europas“ schuf. Andere und teils weniger bekannte Operationen von Wehrmacht und Waffen-SS umfassen Unternehmen Mammut zur Vorbereitung eines antibritischen Aufstands im Nordirak, Unternehmen Atlas zur Nachrichtensammlung im britischen Mandatsgebiet Palästina, oder auch den Versuch, die Rheinbrücken im Frühjahr 1945 durch von Froschmännern verübte Sabotage für die vorrückenden Alliierten unpassierbar zu machen. Der unter dem Namen Unternehmen Weitsprung entworfene, aber letztlich nicht in die Tat umgesetzte Plan zur Ermordung von Winston Churchill, Theodore Roosevelt und Joseph Stalin während der Konferenz von Teheran im Spätherbst 1943 dürfte hingegen vermutlich niemals existiert haben, auch wenn in einer Reihe von Büchern zuweilen anderes behauptet wird.

Es waren allerdings die Briten, die sich dem Thema „Spezialeinsätze“ als Erste und auch am umfangreichsten annahmen, wohl auch aus einer strategischen Notwendigkeit heraus. Nachdem die deutsche Wehrmacht innerhalb weniger Montage nach Kriegsbeginn halb Europa überrannt und Frankreich kapituliert hatte, stand Großbritannien trotz seiner imperialen Ressourcen mit dem Rücken zur Wand. Premierminister Churchill war sich der Tatsache bewusst, dass sein Land – auch angesichts der nicht gerade ruhmreichen Evakuierung des britischen Expeditionskorps aus Dünkirchen Anfang Juni 1940 – jede Chance nutzen musste, um dem Deutschen Reich Schaden zuzufügen – auch gemäß dem Credo „überproportional große strategische und politischen Wirkung bei relativ geringen Ressourcenaufwand“. Dies führte bereits im darauffolgenden Juli zur Gründung der sogenannten Special Operations Executive (SOE), der der britischen Regisseur Guy Ritchie im eingangs erwähnten The Ministry of Ungentlemanly Warfare ein nicht ganz ernst gemeintes und dramaturgisch stark überzeichnetes Denkmal setzt.

Der Filmtitel war jedoch durchaus Programm, denn die neue Organisation, die nicht dem War Office, sondern dem Ministry of Economic Warfare unterstellt war, sollte Churchills Worten zufolge Europa mittels subversiver Kriegsführung in Brand stecken. Sie blieb jedoch nicht der einzige Vorstoß in diese Richtung, denn auch die Armee selbst unternahm entsprechende Schritte, um – wie der Premierminister nach der verlorenen Schlacht um Frankreich auch vom Generalstab forderte – „a reign of terror“ an den europäischen Küsten zu installieren und den deutschen Truppen so das Leben dort schwer zu machen. Dies war nicht nur militärische Überlegungen geschuldet, sondern sollte auch die Moral der eigenen Bevölkerung heben, indem man ihr eine Sache vor Augen führte: Die britischen Streitkräfte waren nach dem Desaster in Frankreich noch nicht am Ende.

Zum nächsten Kapitel