No. 3 Troop, No. 10 (Inter-Allied) Commando

Die Gründung des No. 3 Troop erfolgte offiziell am 11. Juli 1942. Er firmierte auch unter dem Namen „X Troop“ – eine Bezeichnung, die auf Winston Churchill zurückgehen soll. Da selbst innerhalb der britischen Streitkräfte Stillschweigen über die wahre Identität der Angehörigen der Einheit bewahrt werden sollte, erschien dem Premierminister das X, das in mathematischen Gleichungen für die Unbekannte steht, passend – auch wenn diese Bezeichnung von den Angehörigen des Trupps selbst nie benutzt wurde. Das Kommando erhielt der zuvor bereits erwähnte walisische Offizier Bryan Hilton-Jones, der über eine äußerst interessante und für diese Aufgabe wie geschaffene Vita verfügte. Hilton-Jones war ein begeisterter Bergsteiger, hatte in Cambridge Sprachen studiert und beherrschte unter anderem fließend Deutsch, das er im Rahmen eines längeren Aufenthalts an der Universität Bonn gelernt hatte. Aufgrund seiner Fähigkeiten war er zwei Jahre nach seinem im Juli 1939 erfolgten Eintritt in die Armee zum Intelligence Corps versetzt worden. Doch bereits ein halbes Jahr später, im Dezember 1941, hatte er sich, offensichtlich aus Langeweile, freiwillig zu den Commandos gemeldet und mit dem No. 4 Commando an Raids jenseits des Ärmelkanals teilgenommen, ehe ihm das Kommando über den No. 3 Troop anvertraut wurde.

Unmittelbar nach Gründung war der Trupp noch beim No. 1 Commando abgestellt („attached“) und im schottischen Kilwinning stationiert. Seine gesamte „Belegschaft“ setzte sich neben Hilton-Jones lediglich aus einem Sergeant vom Pioneer Corps, dem aus Ungarn stammenden, deutschsprachigen George Lane alias György Lanyi, sowie sechs Privates, die vom Pioneer Corps zum Intelligence Corps gewechselt waren, zusammen. Knapp zwei Wochen danach übersiedelte diese kleine Gruppe nach Harlech, wo auch der Stab des übergeordneten No. 10 (Inter-Allied) Commando eben im Begriff war, sich zu formieren. Auch wenn es Hilton-Jones zu diesem Zeitpunkt so gut wie an allem– an Männern, Ausrüstung und Unterkünften – mangelte, begann er mit der Grundausbildung. Auf dem Programm standen unter anderem Kartenlesen, Schwimmen, körperliche Ertüchtigung sowie Aufklärung – einschließlich nächtlicher Erkundungen des Harlech Castle, was bei den dort zur Bewachung abgestellten Männern der Home Guard Hilton-Jones zufolge leichte Irritationen hervorrief. Höhepunkt war ein 53 Meilen Marsch von Harlech zum 1085 Meter hohen Gipfel des Snowdon oder Yr Wyddfa und wieder retour in 17,5 Stunden, einschließlich einer dreistündigen Pause auf dem Gipfel.

Dass mit dem Training trotz der nur provisorisch vorhandenen Infrastruktur sofort begonnen wurde, lag womöglich daran, dass der Trupp bereits im August 1942 in einen ersten Einsatz geschickt wurde – und möglicherweise hatte die Vorbereitung auf diesen Einsatz überhaupt erst den Ausschlag zu seiner Aufstellung gegeben. Im Rahmen der eingangs bereits angesprochen Operation Jubilee, auch bekannt als Dieppe Raid, versuchten rund 6000 kanadische Soldaten, 1000 britische Commandos und 50 U.S. Army Rangers mit Unterstützung von Royal Air Force und Royal Navy am 19. August 1942, die nordfranzösische Stadt Dieppe kurzfristig in ihren Besitz zu bringen, um Verwirrung unter den deutschen Truppen zu stiften, die Moral der Westalliierten zu heben und eine größere Anlandung von Truppen auf dem europäischen Festland zu testen. Mit dabei waren jedoch auch fünf Angehörige des No. 3 Troop, die möglicherweise einen Spezialauftrag innerhalb dieses Sonderunternehmens hatten. Schon länger gibt es in der Forschung die Meinung, Operation Jubilee hätte vor allem den Zweck gehabt, ein Exemplar der deutschen Verschlüsselungsmaschine Enigma zu erbeuten, und der großangelegte Angriff sollte die deutschen Verteidiger lediglich von diesem Hauptziel ablenken – so das Kalkül des Planers dieses Ablenkungsmanövers, bei dem es sich um niemand anders als den späteren James-Bond-Autor Ian Fleming handelte, damals Offizier in der Naval Intelligence Divison. Eine neue Theorie besagt gar, der Nukleus des No. 3 Troop sei extra aufgestellt worden, um eben diesen Auftrag zu erfüllen. So wäre ein Team von deutschsprachigen Kommandosoldaten erforderlich gewesen, um von den Landungsstränden zum Hotel Moderne im Stadtzentrum, wo sich das deutsche Hauptquartier befand, vorzudringen und dort wesentliche von unwesentlichen Dokumenten zu unterscheiden, notfalls Gefangene vor Ort zu verhören, die Codebücher zu identifizieren und gemeinsam mit der Maschine abzutransportieren.

Auch wenn sich in den derzeit freigegeben Quellen kein endgültiger Beleg für dieses Gedankenspiel findet, erscheint es nicht abwegig. So gab Maurice Latimer, einer der fünf involvierten Männer des No. 3 Troop, hinterher an, die Aufgabe seines Teams sei es gewesen, sich sofort zum deutsche Generalhauptquartier in Dieppe zu begeben und alle Dokumente von Wert und, wenn möglich, einen neuen deutschen „respirator“ mitzunehmen, wobei es sich dabei vielleicht um einen Codenamen für die Enigma handelt. Gesichert ist jedenfalls das Desaster, mit dem der Dieppe Raid endete. Nicht nur musste die Operation nach wenigen Stunden abgebrochen werden, weil die Verluste zu hoch waren – am Ende waren 1000 alliierte Soldaten tot, weitere 2400 verwundet und beinahe 2000 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten. Auch die von Hilton-Jones ausgebildeten Männer konnten ihr angebliches Ziel, das Sicherstellen einer Enigma, nicht erreichen. Bei allen fünf – Brian Platt (Bruno Platek), George Bate (Gustav Oppelt), Charles Rice (Karl Kutschka), Joseph Smith (Josef Kugler) und eben Maurice Latimer (Moritz Löwy), dem einzigen Juden des Teams – handelte es sich übrigens um Sudetendeutsche, die zuvor von der SOE Fallschirmspringer- und Sprengstoffausbildung erhalten hatten; Latimer war auch bereits mehrfach im Einsatz gewesen. Er überstand den Dieppe Raid zumindest körperlich unbeschadet, im Gegensatz zu seinen Teamkollegen. Platt wurde verwundet, Bate gar getötet und Rice und Smith als vermisst gemeldet – tatsächlich wurden auch sie für tot gehalten, sie überlebten den Krieg jedoch in Gefangenschaft.

Der Dieppe Raid war also für den No. 3 Troop eine mehr als bittere Erfahrung. Immerhin hatte Hilton-Jones mit Bate, Rice, Smith und vorübergehend Platt, der nach seiner Rückkehr nur mehr als Lagerist eingesetzt wurde, mehr als die Hälfte seiner Männer verloren. Nun begann allerdings erst der tatsächliche Aufbau der Einheit – und es sollte nicht lange dauern, bis sich auch die ersten Österreicher auf den Weg ins Hauptquartier des Trupps nach Wales machen würden.

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